Museales Unikat einer Schatulle von Viktor Lurje für die Wiener Werkstätten (1920)
Der Wiener Architekt und Kunsthandwerker Viktor Lurje (1883 – 1944) gehört zu den bekanntesten Vertretern der Wiener Werkstätte. Dem Studien- und Freundeskreis um Oskar Strnad und Josef Frank angehörig, konzentrierte er sich auf Inneneinrichtung und das Kunstgewerbe. Bereits das erste gemeinsame Projekt der Freunde, ein Gartensaal in der Winterausstellung des Museums für Kunst und Industrie 1911/12 in Wien, war in seiner kräftigen Farbgebung als auch dem ausladenden Dekor wegweisend für Lurjes Gesamtwerk.
Herausragender Entwurf als Kleinod für Kenner
Die Schatulle nach einem Entwurf von Viktor Lurje ist ein kunsthandwerklich aufwendig gestaltetes Behältnis zur Aufbewahrung von besonderen Habseligkeiten. Sie ist aus verschiedenen Hölzern gearbeitet und als unverwechselbares Unikat eine Ausführung der Wiener Werkstätte. Neben den lateinischen Aphorismen, die in den Sockel kunstvoll eingearbeitet sind, erzählen die Intarsien der Schatulle den Mythos von Eros und Psyche. Lurje entschied sich für diese Darstellung mit Blick auf die gleichnamige Oper von Ludomir Różycki. Den Deckel ziert die Darstellung des Hermes.
Spielerische Zier in Anlehnung an Ludomir Różycki
Eros und Psyche ist ein weit verbreitetes Sujet der Bildenden Kunst und ein beliebtes Thema in der Musik wie auch dem Musiktheater. Dargestellt werden Aspekte der mythischen Liebesbeziehung zwischen dem Gott Amor und der sterblichen Königstochter Psyche, die schließlich unter die Unsterblichen aufgenommen wird. Viele Gemälde, Skulpturen und Musikstücke befassen sich mit dem Paar, dazu gehört auch die Inszenierung von Ludomir Rózycki. Seine Eros und Psyche ist eine fantastische Oper in fünf Bildern und einem Nachspiel von Ludomir Różycki. Die Uraufführung fand am 10. März 1917 im Stadttheater Breslau in deutscher Sprache statt.
Alltägliches Design als Kunstwerk: Wiener Werkstätte
1903 beschlossen der Architekt Josef Hoffmann, der Grafiker und Maler Koloman Moser und der Mäzen Fritz Waerndorfer die Gründung der heute weltberühmten Vereinigung für Kunsthandwerk Wiener Werkstätte (1903–1932). Diese „Productivgenossenschaft von Kunsthandwerkern“ trat mit dem Anspruch an, in allen Bereichen des alltäglichen Bedarfs – Möbel, Architektur, Porzellan, Glas und Mode – künstlerisch hochwertiges Kunsthandwerk hervorbringen. Mit ihrem interdisziplinären Anspruch und ihren zukunftsweisenden Entwürfen prägte die Wiener Werkstätte nachhaltig die Designgeschichte. Sie gibt bis heute wesentliche Impulse in ästhetischen Fragen und ist eine unverzichtbare Größe im Bereich des jüngeren Kunsthandwerks und Designs.
Meister des Dekors: Viktor Lurje
Viktor Lurje war ein typischer Vertreter der „Wiener Wohnraumkultur“ der Zwischenkriegszeit. Die Objekte Lurjes zeichnen sich durch eine betont dekorative Ausarbeitung aus, wobei der Künstler insbesondere auf die damals sehr geschätzte Technik der Intarsienmalerei einen Schwerpunkt setzte. Zudem entwickelte Lurje eine eigene Technik des Stuckdekors. Er entfaltete eine große Bandbreite und entwarf neben Plakaten auch Entwürfe für Keramik, Glas und Textilien. Ein Großteil seiner Innenausstattungen in diversen Museen (Landesmuseum Kassel, 1912), Hotels und Restaurants ist von seinem unverwechselbaren figuralen Dekor geprägt.
Die Schatulle im Spiegel zeitgenössischer Publikationen
Neben dem außergewöhnlichen Design verweist der Bericht auf die Eigenheit als unverwechselbares Einzelstück. Die identische Abbildung liegt hier als Silbergelatineabzug vor.
Vermutlich erste Veröffentlichung der Schatulle in der Monatszeitschrift Kunst und Kunsthandwerk unter dem Thema „Kunstschau“ bew. „Die wirtschaftliche Stellung des Österreichischen Kunsthandwerks“.
Sinn für das Besondere: Universalgenie Max Wolf
Die dekorreiche Schatulle gehörte einstmals Max Wolf, dem die Arbeiten der Wiener Werkstätte sichtlich gefielen. Während seines Studiums in New York trifft er sich unter der Woche mit Verlegern von Zeitschriften, Schriftstellern, Künstlern und Joseph Hoffmann, den Gründer der Wiener Werkstätte. Wolf, der in Wien geborene Sohn eines Kaufmanns, erwirbt insgesamt sieben Doktortitel, wird Universitätsprofessor und führt eine Praxis als Gynäkologe und HNO-Arzt. Außerdem firmiert er als Vertragsarzt der Metropolitan-Oper. Seit den 1930er Jahren widmet er sich überwiegend der Enzymforschung und schafft mit Wobenzym ein Kombinationspräparat zur Bekämpfung von Entzündungen und Schmerzen: Zusammen mit seiner Assistentin Dr. Helen Benitez entwickelt er das Medikament an der Columbia Universität in New York. Wolfs Verdienste und das spektakuläre Leben dieses jüdischen Universalgenies ist eng mit der Stadtgeschichte New Yorks verknüpft. Er verbringt seine letzten Jahre gemeinsam mit seiner zweiten Frau in der Vorderpfalz, ehe er 1976 mit 91 Jahren in einem Bonner Krankenhaus stirbt.